30.05.2022

Diese Stadt hat eine Geschichte zu erzählen. Hier kann man die Geschichte Russlands erfahren und erfühlen. Diese Stadt ist der Start oder Endpunkt für die Städtereisen des goldenen Ringes (золотое кольцо). Diese Städte werden im Rahmen eine Rundreise angefahren und sind ein beliebtes Reiseziel aus- und inländischer Touristen. Die Städte widerspiegeln in gewisser Weise die russische Kultur und Entwicklung.

Ich habe mit bereits vor der Anreise einen Stadtführer bestellt. Es stellte sich heraus, daß diese Entscheidung absolut richtig war. Mir war das Vergnügen vergönnt, eine Historikerin, die ihr Studium in Jaroslawl absolvierte, als Stadtführerin zugeteilt zu bekommen. Nach dem wir geklärt hatten, wie das abläuft, was es kostet und in welcher Sprache das alles geht, ging es los. Mit meinen Mietwagen und ihrer Navigation bekam ich die russische Geschichte präsentiert. Vorweg: Ich werde hier nicht das Gemerkte und Vergessene präsentieren, sonst habt Ihr einen Grund weniger, Russland zu entdecken.
Statt der vereinbarten 2,5 h wurden es 7,5 h. Ich bat um einen langsames und leichtes Russisch und bekam so neben den erstklassigen Informationen noch eine perfekte Nachhilfe in der russischen Sprache. Ich kann euch nur sagen, es war eine Freude.

Wie die Geschichte Europas, ist auch die Geschichtsschreibung Russlands vorrangig durch die Kirche geprägt. Waren es doch die Kirchen, die in früheren Zeiten das gesellschaftliche Leben bestimmten. Themen wie Bildung, Historie oder das Gestallten der gesellschaftlichen Funktionen oblagen den Kirchen in Europa. Das Besondere an der russischen Geschichte ist der Wandel im 17. Jahrhundert – von der Orientierung auf die inneren Reichsinteressen auf eine europäische Orientierung. Der Adel in der damaligen Zeit verstand den Sinn darin nicht, was natürlich zu Spannungen führte. Gelegentlich wüsche ich mir, daß europäische Interessen wieder Einzug in die europäische Politik finden. Mein Gefühl, daß diese unterschiedlichen Ausrichtungen noch heute in der Politik Russlands eine Rolle spielen, konnte mir Swetlana, so heißt die Stadtführerin, bestätigen. Das manifestiert sich heute vor allem sichtbar in den Städten Moskau und St. Petersburg mit ihrer klaren europäischen Ausrichtung und in solchen Städten wie eben Jaroslawl mit ihrer eher russischen traditionellen Orientierung. Ich finde das Thema spannend, denn die Verbindungen der deutschen und russischen Adelshäuser werden von den Menschen in Russland als eine gewisse familiäre Bindung betrachtet. Das hatte ich zuvor so nicht gesehen. Das erklärt auch ein wenig, daß die Russen dem deutschen Volk gegenüber nicht sehr Nachtragend sind. In Gesprächen war immer von der deutschen Führung die Rede, die sich am deutschen Volk vorbei entwickelte.

Wir sprachen selbstverständlich über die aktuellen Themen und es war klar, daß auch für Swetlana Krieg keine Option ist. Selbst wenn man sich gegen die sogenannte Spezialoperation wendet, blieb die Antwort auf die Frage offen, wie man denn der aggressiven Politik vornehmlich der USA entgegentreten sollte und könnte. Es ist ein ernstes Thema. Ich werde darauf natürlich noch einmal zurück kommen.

Jaroslawl ist eine sehr schöne historische, aber auch moderne grüne Stadt. Ich bewundere immer wieder die breiten Straßen. Unglaublich! Russland hat eben Land im ausreichenden Maße.

Selbstverständlich sieht es in den abgelegenen Wohnvierteln anders aus. Schlaglöcher, einfache Baustrukturen, alte Fahrzeuge. Das ist keine Kritik, das ist das ökonomische Spiegelbild. Die Frage nach dem Warum wird unterschiedlich beantwortet. Natürlich sind die immensen Anstrengungen in der Entwicklung der Verteidigungskraft in der Gesellschaft zu spüren.
Der Nahverkehr ist sehr preiswert und gut ausgebaut. Das gilt auch hier für Jaroslawl. Die Cafés sind modern und laden zum verweilen ein. Eine russische Stadt zum Leben.
Auf Grund des Breitengrades sind auch hier die Nächte relativ hell. Morgens um 2:30 ist es nicht dunkel. Dadurch kommt man am Abend in die Versuchung, die Nach zum Tag zu machen. Die Öffnungszeiten der Bars und Cafés stehen dem allerdings entgegen. Interessant fand ich die Lösung, daß sich die Leute in Flaschen aller Art das Bier für den „Nachhauseweg“ abfüllen lassen.
Die von mir bevorzugte Bierbar hatte eigens dafür Schraubverbindungen am Zapfhahn. Ging auch recht schnell. Angesprochen auf die Sanktionen, bestätigten sie mir, daß der Biernachschub aus Deutschland über einen Großhändler gesichert sei . Hier wird Riegele-Bier verkauft. Kenner der Szene wissen was das ist. Ob es einmal Bernauer Bier hier geben wird? Wohl nicht in naher Zukunft. Aber so als Akt der Völkerverständigung …. Nur der Transport ist wohl eher schwierig.

Der Preis: 350 ₽ nach aktuellem Kurs ca. 5 € für 0,4 l. Also nicht billig.

Ein weiters Thema sind die Kirchen der Stadt. Jaroslawl hat 50(!) Kirchen. Die 2. Kirche aus dem 17. Jahrhundert sieht auch so aus und hat natürlich besondere architektonische Merkmale. Ich verschone Euch damit. 😁 Mir gefällt diese Geschichte und die Bedeutung für die russische Kultur. Nur so kann man einander verstehen. Und damit meine ich verstehen im Sinne des Wortes, Frau Gabriele Krone Schmalz, Journalistin, hat sich dazu bereits öffentlich geäußert.

Eine Besonderheit der Architektur in Jaroslawel sind die Fliesen, die hier nach einem traditionellen Verfahren heute noch von einem Meister hergestellt werden. Das besondere Brennverfahren verleiht den Fliesen die unterschiedlichen Farben trotz der immer gleichen heimischen Rohstoffe. Auch ist man besonders stolz auf die Kirchen, die alle durch die Einwohner Jaroslawls mit ausschließlich einheimischem Material errichtet wurden. Das „offene Fenster“ symbolisiert durch die speziellen Fliesen die Jaroslawler Architektur.

In Jaroslawl steht das erste russische Theater überhaupt. In jeder russischen Stadt, die etwas auf sich hält, gibt es ein Theater. Manchmal auch eines für Kinder. Das in Kazan hatte ich schon gezeigt.
Welchen Bildungsvorsprung in ästhetischer und künstlerischer Hinsicht haben russische Kinder? Das rechte Bild zeigt die Schulde, der uns allen bekannten Valentina Tereschkowa. Sie kommt aus Jaroslawl und die Stadt ist stolz auf ihre Leistung.

Mit dem Wetter hatte ich ausgesprochen Glück in dieser Stadt. In der Hoffnung, das es so bleibt.

31.05.2022

Genau genommen, der letzte Tag meiner Reise durch das heutige Russland. Ich nutze diesen Tag für organisatorische Fragen bezüglich der Heimreise. Wie Ihr wisst, ist eine direkte Verbindung in die Länder unfreundlicher Regierungen aus Russland derzeit nicht möglich (eine charmante Umschreibung). Ich mache noch auf der Wolga eine kleine Rundfahrt und sammle Eindrücke. Jaroslawl hatte schon immer gut betuchte Einwohner, die sich sehr um das Gemeinwohl kümmerten. Im Übrigen, der Meister, der die Fliesen nach geheimer Rezeptur für die Stadt und Kirchen herstellt, arbeitet ohne Honorar. Er ist ein hoch geachteter Mann und lebt von den Zuwendungen der Stadt und der Bürger.

An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Sohn Ralph einmal bedanken. Er hat mir freundlicher Weise seine Drohne zur Verfügung gestellt. Sonst wären mache Bilder nicht möglich gewesen. Das leitet mich zu einer weiteren Frage. Selbst bei Russen entstand die Frage, oben das Benutzen einer Drohne verboten sei. Also ich kann die Laien unter Euch beruhigen. Es ist nicht verboten. Aber es gelten offensichtlich die gleichen Bestimmungen wie überall auf der Welt. Keine Menschenansammlungen, keine militärisch und strategisch wichtige Objekte, keine Flughäfen und Bahnhöfe …. na ja, und nichts, was der gesunde Menschenverstand noch so verbietet. Und man darf niemanden belästigen. Das sind die Regeln. Über die Flughöhe braucht man sich keine Gedanken machen, das regelt die Drohne selbst, je nach Region. Ich sprach hier mit der Polizei darüber. Sie sagten mir kurz und knapp, es ist erlaubt.

Ich finde diese Sache gut und weltoffen und sie zeigt, daß man konkret jede Frage besprechen kann und darf. Am Flughafen wurde bei den Kontrollen zwar nach der Drohne gefragt, aber es gab überhaupt keine Beanstandungen. Für die Fachleute und den Lesern ist das sicher eine Banalität, für Hobbyfotografen nicht.

Und der Kreml von Jaroslawl ist eine Augenweide. Hier sind wichtige Entscheidungen getroffen worden und Fürst Poscharski, der Vater Alexander Newskis, leistete hier seinen Schwur. Dieses Denkmal wurde 2010 errichtet.

Ja und was haben wir denn da im fernen Russland? Stolz erklärte der junge Mann, daß er den Barkas für 170.000 Rubel in Moskau als Schrotthaufen gekauft hatte und ihn in mühevoller Kleinarbeit wieder zur Blüte verhalf. Mit Originalteilen. Es ist schwierig, das richtige Benzin für den originalen Motor zu beschaffen. Er sei aber technisch versiert und habe es selbst gemischt. Stolz berichtete er von den technischen Details des 3-Zylindermotors. Das Teil fährt er selbstverständlich selbst zu den Einsatzorten als Kaffeebar. Ihr seht, die Verbindungen zu Russland sind so umfassend, daß ein Abriss nicht zugelassen werden darf.

Russland, ein Land mit Möglichkeiten. So ist es auch möglich, daß Elche in der Wolga schwimmen um das andere Ufer zu erreichen. Sie wurden glücklicher Weise von unserem Schiff gestört, denn das andere Ufer war die Stadt. Gleich vier Tiere machten sich auf den Weg.

Jaroslawl ist eben eine normale russische Stadt, die es sich zu besuchen lohnt.

Auf dem Plan steht morgen die Abreise über Istanbul.

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