Donnerstag, 02.10.2023
Torsten hatte mal wieder einen Arzttermin und überließ mir die Wäsche, den Budenschwung und 1000 Rubel Taschengeld. Das erste Taschengeld überhaupt, dass mir endlich das Gefühl der Unabhängigkeit bescherte. 😉
Nach Verrichtung meiner Verpflichtungen ging ich zu Fuß in die Innenstadt, um erstens die Postkarte an meine Brieffreundin Paula (10 Jahre) in einen Briefkasten zu stecken, zweitens ein paar Fotos von Wohnhäusern abseits der Hauptstraßen zu machen, um dann drittens Feldmarschall Paulus letzte Wirkungsstätten im Keller des Kaufhauses Univermag in der Innenstadt zu besichtigen.
Über die lange Brücke beim Bahnhof gelangte ich letztlich zum Museum des damaligen Befehlsstandes des Feldmarschalls Paulus in Stalingrad. Zum Feldmarschall wurde er aber erst kurz vor seiner Festnahme ernannt.
Ich war derart ungeduldig, dass ich 200 Rubel meines Taschengeldes einsetzte, um nicht vor dem Museum auf Torsten warten zu müssen.
Die Ausstellung ist sehr gut und berichtet sehr ernüchternd über Paulus Wirken in Stalingrad. Als ich die Armseligkeit seines letzten Befehlstandes betrachtete, kam mir unweigerlich der Gedanke, dass der gute Paulus als Gast, also ohne Begleitung von Panzern, Granaten und Bomben, viel luxuriöser und bequemer zwei Etagen höher im angrenzenden Hotel „Сталинград“ hätte nächtigen können.
Interessant und neu für mich war, dass Paulus bei seiner Festnahme nicht von einer Kapitulation sprach, sondern nur von einer Einstellung der Kampfhandlungen wegen fehlender Ausrüstung und mangels Munition. Vielleicht auch Kalkül, war ihm somit nicht vorzuwerfen, er hätte gegen den ausdrücklichen Befehl Hitlers gehandelt. Vermutlich seine Absicherung, wusste er ja zu diesem Zeitpunkt nicht, vor wem er sich letztlich zu verantworten hatte.
In der Ausstellung bemerkte ein junger russischer Museumsbesucher, dass wir Deutsche sind und wies uns darauf hin, dass auch der Befehlsstand der 64. sowjetischen Armee, in dem Paulus zum zweiten Mal verhört wurde, noch existiert. Leider ist dieser nur von außen zu besichtigen. Egal, wir wollten hin.
Gut 35 km südlicher, in Wolganähe, fanden wir den – gegenüber unseren Erwartungen – kleinen und bescheidenen Befehlstand der 64. sowjetischen Armee. Auch hier bekräftigte Paulus, dass er nicht kapituliert hätte, sondern nur wegen fehlenden Nachschubs nicht mehr weiterkämpfen könne.
Von dieser Befehlsstelle gab es laut OpenStreetMap einen unbefestigten Weg hinunter zur Wolga. Wir fanden ihn und wurden aus einer erhöhten Position mit einem malerischen Abendblick über die Wolga belohnt.