Ein ganz normaler Freitag in Wolgograd

Ich hatte für den Freitag einen weitere Arzttermine geplant, um die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchungen zu besprechen. Die Frage nach dem „warum“ in Russland zum Arzt gehen, ist einfach beantwortet. Es gibt in Russland ganz sicher keine schlechteren oder besseren Ärzte, jedoch ist das Gesundheitssystem hier etwas anders organisiert als bei uns in Deutschland. (Ich hatte schon darüber geschrieben.)
Für mich ist es sehr komfortabel in einer privat geführten Klinik alle Untersuchungen bei den Fachärzten durchführen zu lassen. Der finanzielle Aufwand ist überschaubar. Zum Beispiel bezahlte ich für eine komplette Ultraschalluntersuchung, vom Hals bis zu Prostata, 8500 Rubel. Das sind etwa 85 €. Man bekommt eine schriftliche Diagnose und dazu eine persönliche Auswertung zu den jeweiligen Themen. Mir gefällt diese Arbeitsweise. Die Bezahlung erfolgt unmittelbar nach den Terminen an der Rezeption.
Dagegen steht die staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung, die für alle russischen Staatsangehörigen „kostenlos“ ist. Genauer gesagt, ist sie steuerfinanziert. Es wird also jeder versorgt, je nach medizinischer Notwendigkeit.
Ein wenig aufwendig ist das Überziehen der Plasteüberzieher über die Schuhe, wie sie bei uns von Handwerkern verwendet werden, zum Betreten der privaten Kliniken. Andere haben eine Maschine, die einen Schutz an den Schuh „schweißt“. Für Kinder ist das ein großer Spaß.
Dieser Soldatenfriedhof ist eine ständige Mahnung an die unglaublichen Folgen des Krieges. Wir Beide sind der Meinung, daß dies zum obligatorischen Wissen der Menschen in der ganzen Welt gehören sollte. Uwe war das erste mal hier und war sichtlich betroffen. Nirgendwo sonst wird so deutlich, welche Folgen die Kriegstreiberei mit sich bringt. Es bleibt nur jedem, der Krieg vorbereitet, in den Arm zu fallen. Dazu bedarf es einer guten Bildung insbesondere Geschichtsbildung.
Rossoschka ist ein kleines Flüsschen, welches dieser russisch-deutsch finanzierten Gedenkstätte den Namen gibt. Wir besuchten diesen Ort, mit Blumen, für die russischen und deutschen Soldaten am Nachmittag.
Es bleibt abzuwarten, wann die aktuelle deutsche Regierung auch diese Beziehung zur Kriegsgräberpflege sanktioniert. Es würde uns nicht überraschen.
Ein Abendessen mit Freunden
Am Abend hatten wir ein gemeinsames Abendessen mit Larisa und Tatjana geplant. Dazu hatte Larisa im Restaurant „Мясо & Рыба“ einen Tisch bestellt, was auf Grund der Nachfrage, auch dringend notwendig war.
Wir wurden in mehrfacher Sicht überrascht. Zum einen gab es eine Probe der vorzüglichen Kochkunst in Wolgograd. An dieser Stelle sein der Einwurf erlaubt, daß es überall in Russland hervorragende Restaurants und Köche gibt. Es fällt schwer jemand hervorzuheben, weil man damit natülich anderen Unrecht antut.
Zum anderen konnten wir uns ausgiebig über den Zustand der aktuellen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland unterhalten. Da Tatjana in Deutschland studiert hat, ist sie bestens über die deutschen Befindlichkeit informiert. Sie unterscheidet sehr genau zwischen den Akteuren und dem normalen Leuten. Sie weiß auch, daß die aktuelle deutsche Regierungspolitik nicht den Interessen der Mehrheit der Deutschen entspricht.
Einig waren wir uns in dem Bemühen, die Brücken und Verbindungen nicht abrechen zu lassen.
Anmerkungen von Uwe:
Interessant für mich waren Tatjanas Erläuterung, wie in Russland die cанкции работают. Anders als in Deutschland, wo explodierende Energiepreise gerade den Normalbürger stark belasten, spüren die einfachen Bürger in Russland wenig von den Sanktionen – jedenfalls nicht direkt. Demgegenüber bemerken wohlhabende Russen den Wegfall bestimmter Marken z. B. bei Bekleidung und Technik. Letzteres wird kurzfristig mit Waren aus China kompensiert. Auf russlands Straßen ist das schon deutlich sichtbar. Chinesische Autos sind schon jetzt keine Seltenheit mehr.
Wirklich Probleme bereiten die Sanktionen den Russen vor allem im Service von zuvor erworbenen europäischen Produkten. Von Fahrstühlen über Autos bis Maschinen, vieles wurde aus dem Westen importiert und entweder eingebaut oder noch genutzt. Allein schon fehlende Ersatzteile sind ein Problem vor Ort. Mittelfristig ist/wird Russland gezwungen, diese Leistungen entweder durch eigene oder durch Produkte anderer Handelspartner zu ersetzen. Tatjana war da recht zuversichtlich, dass Russland dies gelingen wird. Wir auch!
Tatjana ist dennoch über die Entwicklung sehr bestürzt. Russland ist Teil Europas. Welche Chancen böten sich, wenn der technologieaffine Westen mit dem rohstoffreichen Osten des Kontinents kooperieren würden (von Bismarck wusste das bereits und erlernte deshalb die russische Sprache). Wem dient diese neue, sich verschärfende Zwietracht?