Die Anreise
Die Abfahrt von Sotschi führte uns wieder durch die Serpentinen. Wir wussten das und fuhren entsprechend früh los. Ab Tuapse wurde die Fahrt dann einfacher. Wie schon geschrieben, kann man die Straßen eben nicht mit deutschen Autobahnen vergleichen. Und LKW gibt es natürlich auch reichlich. Mit einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von 70 km/h schätzt man recht gut. Auf den kostenpflichtigen Strecken kommt man dafür recht gut voran.
Vorbei an Krasnodar, ging es dann zu unserem Hotel in Rostow. Was uns erwartete, war eine echte Überraschung. Eine positive!
Rostow
In Rostow hatten wir leider einen verregneten Tag. Was uns nichts ausmachte, denn wir hatten uns in Sotschi mit neuen Schirmen ausgestattet.
Auf ging es „пешком“ zur Hauptstraße Rostows. „большая садовая улица“. Es gibt natürlich alles, was der Geldbeutel finanzieren kann, auch in Rostow. Die Bauwerke sind in gutem Zustand und auch die Persönlichkeiten der Stadt finden eine entsprechende Würdigung im Straßenbild.
Das ist in Russland wahrnehmbar anders als in Deutschland. Hier werden die Wirkungsstätten der Helden der Sowjetunion oder auch der Helden Russland mit Tafeln an den Gebäuden versehen. Ich finde das gut. Einerseits geraten die Leistungen der Menschen für ihr Land nicht in Vergessenheit und andererseits helfen diese Informationen, auch die historischen Zusammenhänge zu verdeutlichen. Das ist für ein gutes Geschichtsverständnis schon wichtig, welches wiederum bedeutend bei der Beantwortung der Fragen der Gegenwart ist.
Ein anderes Thema ist die Alltagsgrafik. Wir hatten ja schon geschrieben, dass wir so gut wie keine Graffiti sichten konnten. Nun ist es nicht so, dass die Straßen langweilig gestalten sind. Die vorhandenen Flächen sind oft von Künstlern thematisch gestaltet.
Sicher hat jeder immer wieder eine andere Idee oder auch ein anderes Thema. Auf der anderen Seite wollen wir auch in Deutschland nicht, dass jeder uns seine Kunst „aufdrängt“, zumal man unter Umständen von Verschmutzung reden muss. Der Prozess, wie hier in Russland die Stadtgestaltung abläuft, ist mir nicht bekannt geworden. Vielleicht kann ein Leser aus Russland dazu mal einen Kommentar schreiben.
Bei unserem Spaziergang hatten wir die Gelegenheit, einem Gottesdienst beizuwohnen. Wir sind zwar beide ungetauft, doch besuchen wir Kirchen gern. Ein Motiv ist die Kirchenmusik, die überall in der Welt etwas Besonderes ist. Das zweite ist die wunderschöne Architektur und Gestaltung der Gotteshäuser. Gerade in der Russisch Orthodoxen Kirche ist die Gestaltung atemberaubend. Auch bei den Moscheen, die es in Russland reichlich gibt, spielen Schönheit und Größe eine Rolle.
Wir wissen selbstverständlich um die historischen Funktionen von Religion und Kirchen und haben unsere Meinung dazu. Aber in einem sind wir uns einig, Religionen sind sinnstiftend und spielen im Leben der Menschen eine wichtige Rolle.
Natürlich wissen wir auch, dass man in Kirchen nicht fotografieren soll. Jedoch kann man kein Bild vermitteln, ohne ein Foto zu präsentieren. Uns geht es dabei mehr um die Aussage, dass die Kirche in Russland lebt und die Menschen offensichtlich herzlich Anteil nehmen.
Dieses Thema wird uns auf unserer Reise durch Russland noch oft begegnen.
Das Thema Architektur hatte ich bereits auf meinen Reisen in Russland angesprochen. Gern komme ich darauf zurück, gibt es doch in jeder Stadt Schönheiten, die einer Erwähnung bedürfen. Insgesamt ist das Bemühen sichtbar, diese Kostbarkeiten zu erhalten. Die Aufwendungen dafür sind natürlich gewaltig und dennoch leistet sich die russische Gesellschaft diesen wichtigen „Luxus“. Es gibt auch sichtbar noch Unvollendetes. Kosten spielen hier sicher die Hauptrolle.
Immer wieder bemerkenswert ist der sorgfältige Umgang mit vergangenen Epochen der Baukunst, aber auch der Politik. In beiden Fällen ist die Abrissbirne nicht das alleinige Argument.
Am Abend hatten wir uns „sehr angestrengt“ im Hotelrestaurant an die Auswertung des Tages gemacht. Am nächsten Tag sollte es zurück nach Wolgograd gehen, um die Sachen zu waschen und bereits die Heimreise über Moskau und Sankt Petersburg vorzubereiten.
Alles war nun endgültig zu verpacken und auch die Mitbringsel für Freunde und Bekannte durften nicht vergessen werden.
Am Morgen des 13.11., nach dem ausgezeichneten Frühstück, brachen wir auf. Der Wachmann am Hotel ließ uns nicht weg, ohne sein gutes Wasser für die Reise in unseren Wasserkanister abzufüllen. Ein Gespräch um das Woher und Wohin, wieder verbunden mit der Frage des Wissenden, wie es denn so in Deutschland ginge, erwärmte wohl auch sein Herz. Er gab das, was er konnte. Wir waren gerührt.
Wie so oft, waren es die kleinen Gespräche und Gesten einfacher Menschen, die so viel Nähe und Verbundenheit der Völker zum Ausdruck bringen.
Uwes Ergänzung:
Torsten schrieb: „… dass wir so gut wie keine Graffiti sichten konnten.“ Dem möchte ich dahingehend widersprechen, dass ich auf der gesamten Reise keine Graffiti entdeckte. Auch nirgends die in Deutschland so beliebte aktivistische Überzeugung über die uneheliche Zeugung von Polizisten.
Ich werde auf die Sauberkeit allerorten noch speziell eingehen, hier nur so viel: Das Beschmieren von Häuserwänden ist in Russland ganz offensichtlich nicht in Mode. Sicher sind auch die Reaktionen und Sanktionen auf Fassaden verschandelnde Meinungsbekundungen sehr heftig.
Abseits der touristischen Pfade findet man viele pragmatische Lösungansätze, die vermutlich nie durch einen deutschen TÜV kämen, vielleicht nicht mal durch einen russischen. Z. B. das Verlegen von elektrischen Kabeln oder gar Gasleitungen an den rückwärtigen Außenwänden oder gar über die Straße. Für uns Deutsche mehr als abenteuerlich anmutend.
Mitunter stellte ich mir die Frage, ob alles, bis hin zum Seifenspender auf öffentlichen Toiletten, in Deutschland durchgenormt sein müsste. Dann wiederum trafen wir auf der Fahrt von Moskau nach Wolgograd einmal auf eine Raststätte, bei der ich mich, ausgerüstet mit einem Spaten, in schwedische Wälder sehnte. Das blieb aber die Ausnahme auf unserer gesamten Reise.